Was, wenn alles ein Ende hat?

oder: Die Tragödie der menschlichen Natur

 

Was, wenn alles ein Ende hat? Die Reflektion über die Grenze der Welt, welcher das unbegrenzte Wachstum gegenübersteht, bildet die Ausgangslage für Hardins bahnbrechenden Text "Die Tragödie der Allmende", welcher 1968 in dem Wissenschaftsmagazin Science veröffentlicht wurde. Hardin diskutiert darin den Konflikt zwischen den Interessen des Einzelnen und dem Gemeinwohl aller. In diesem Essay werden die zentralen Ideen von Hardins Theorie untersucht. Einerseits gilt es zu evaluieren, was die elementare Ursache der Tragödie der Allmende ist. Andererseits wird der Frage, wie und ob man die Tragödie der Allmende vorbeugen kann, nachgegangen. Zuletzt betrachten wir das moderne Verständnis des Verhältnisses zwischen der menschlichen Zivilisation und der natürlichen Welt und fragen uns, wie und ob man diese zwei Einheiten in den Einklang bringen kann.

 

Der Begriff "Tragödie der Allmende" wurde erstmals von dem britischen Wirtschaftswissenschaftler William Forster Lloyd in seiner 1833 erschienenen Veröffentlichung Two Lectures on the Checks to Population verwendet. (1) Das Konzept der Tragödie der Allmende als gesellschaftliches Dilemma wurde jedoch von Garrett Hardin in seinem 1968 erschienenen Essay The Tragedy of the Commons popularisiert und weiterentwickelt. (2) Hardin war ein US-Amerikanischer Biologe und Ökologe. Sein Text ist im Kontext der Nachkriegszeit und zum Ausklang des Fordismus eingebettet und ist als Einklang der Umweltbewegung der späten 1960er und frühen 1970er zu verstehen, welche auf Umweltfragen aufgrund von Ereignissen wie Ölkatastrophen, Luft- und Wasserverschmutzung und die Auswirkungen der Industrialisierung aufmerksam machen wollte. Ziel der Umweltbewegung war es, das Bewusstsein für diese Probleme zu schärfen, auf einen besseren Umweltschutz zu drängen und die Nachhaltigkeit und Erhaltung der natürlichen Ressourcen zu fördern.

 

Seit Beginn der Geschichte der Menschheit wird die Welt als Ressource angesehen und genutzt. Auch wenn sich dieses Verständnis und Verhältnis zu der natürlichen Welt über die Zeit hinweg und von Kultur zu Kultur stark variiert hat, gilt die Idee der Allmende als grundlegend für die Entwicklung der Menschheit. Die Menschen haben sich schon immer, ob Nomaden oder sesshafte Zivilisationen, der Umwelt bedient, als wäre es ihr Geburtsrecht. Manche rücksichtsvoller, manche weniger. So wurden schon vor tausenden Jahren Bisons gejagt, Beeren gepflückt, Grasflächen als Weideland, Wälder und Höhlen zum Schutz und Wasser zum Trinken genutzt. Die Welt liegt heute den Menschen zu Füssen. Ein grosser Spielplatz, auf und in dem der Homo Sapiens sich austoben kann. Eine Ressource, die dem Menschen zum Wachstum verhilft und als kollektives Gut gesehen wird.

 

Ein kollektives Gut ist eine Ressource, die einer Gruppe von oder allen Menschen gehört. Kollektivgüter, gemäss Hardin "commons" gennant, sind rivalisierend. Dies bedeutet, dass es schwierig oder sogar unmöglich ist, dass die Nutzung durch eine Person die für andere Personen verfügbare Menge nicht verringert. Sozusagen sitzen bei einem Gemeingut alle Menschen in demselben Boot. Meist jedoch, ohne es zu erkennen. Hardin nennt mehrere Beispiele für solche Kollektivgüter. Darunter befinden sich unter anderem das Weideland, das der Viehzucht dient, die Ozeane, die für den Fischfang genutzt werden, Wälder und Flüsse als Holz- und Wasserressourcen, Mineralvorkommen wie Kohle und Öl zur Energiegewinnung und die Erdatmosphäre, die von allen Lebewesen gemeinsam genutzt wird.

 

Diese natürlichen Ressourcen, die wir als Kollektivgüter betrachten, müssen mit Sorgfalt genutzt werden, da sie endlich sind. Demnach gilt: Je mehr Menschen sich aus dem Topf bedienen, desto schneller wird der Topf leer. Ist der Topf leer, müssen die anderen hungern. Wachst also die Bevölkerung exponentiell, wird der Topf schneller leer. Hardin verwendet den Begriff "Tragödie", um das Ergebnis der Übernutzung ebendieser natürlichen Ressourcen zu beschreiben. Hardins Verständnis ähnelt dem klassischen Trauerspiel, bei dem der Einzelne zwar gute Absichten hat, sein Handeln aber unbeabsichtigte negative Folgen. So verhält sich das rationale Handeln des Einzelnen, welches durchaus in ihrem eigenen Interesse liegt, in der Tragödie der Allmende gleich wie im Theater: das Ergebnis ist eine Situation, die für alle Beteiligten schlechter ist.

 

Gemäss Hardin ist die Tragödie der Allmende ein Ergebnis der immanenten Logik des menschlichen Verhaltens, wenn es um gemeinsame Ressourcen geht. Mit "inhärente Logik der Allmende" (1968, S. 1244/3), bezieht er sich auf die Idee, dass Individuen, die in ihrem eigenen Interesse handeln, letztendlich zur Erschöpfung des Allgemeinguts führen. Somit muss die Tragödie der Allmende nicht als das Ergebnis menschlicher Böswilligkeit oder Nachlässigkeit, sondern vielmehr als ein logisches Ergebnis des natürlichen Verhaltens der Menschen, wenn sie Zugang zu einer gemeinsamen Ressource haben, gesehen werden. Hardin glaubt, dass "die Freiheit der Allmende alle in den Ruin treibt" (1968, S. 1245/3). Diese Aussage basiert auf seiner Beobachtung, dass in einer Situation, in der eine Ressource gemeinsam genutzt wird und es keine Mechanismen gibt, um ihre Nutzung zu begrenzen, Einzelpersonen in ihrem eigenen Interesse handeln und demnach so viel von der Ressource nutzen, wie sie können. Für Hardin ist diese "inhärente Logik der Allmende" (1968, S. 1244/3) ein Schlüsselargument für die Notwendigkeit einer Regulierung und Verwaltung von kollektiven Ressourcen, um die Tragödie der Allmende zu verhindern.

 

Mit dem Glauben an den naiven Egozentrismus des Menschen setzt sich Hardin der These der "unsichtbaren Hand", welche sich auf die erstmals von Adam Smith in seinem Werk "The Wealth of Nations" (1776) vorgestellte Idee bezieht, entgegen. (3) Diese These besagt, dass das Handeln des Einzelnen in seinem Eigeninteresse zu einem Gesamtnutzen für die Gesellschaft führen kann. Demnach glaubte Smith, dass der Markt, geleitet von der unsichtbaren Hand des Wettbewerbs, auf natürliche Weise zu einer effizienten Ressourcenallokation und einem Anstieg des Gesamtwohlstands führen würde. Hardin kritisiert diese vorherrschende Denkweise und argumentiert, dass sie auf das Problem des unbegrenzten Bevölkerungswachstums - was auf das Wachstum im Allgemeinen ausweitbar ist - nicht anwendbar ist (1968, S. 1244/2). Er ist der Ansicht, dass das Vertrauen auf die unsichtbare Hand zur Lösung des Problems des Bevölkerungswachstums fehlgeleitet ist, weil es davon ausgeht, dass die Menschen rational handeln und die langfristigen Folgen ihres Handelns berücksichtigen. Im Falle des Bevölkerungswachstums argumentiert Hardin jedoch, dass das Handeln des Einzelnen in seinem Eigeninteresse eher zur Überbevölkerung und Ressourcenverknappung als zu einer Verbesserung des Allgemeinwohls führt.

 

Wenn wir also folglich den beschriebenen Egozentrismus des menschlichen Geschöpfs als grundlegendste Ursache der Tragödie der Allmende verstehen, können wir die Folgen und potenziellen Lösungsansätze besser nachvollziehen. Als eine solche Folge des Egozentrismus kann gemäss Hardin das unbegrenzte Bevölkerungswachstum genannt werden. Da die Ressourcen erschöpflich sind und die Bevölkerung exponentiell wächst, stehen wir vor dem Dilemma der Überbevölkerung. Die Menschen versuchen seit Jahrzehnten diesem Problem mit neuen Technologien in der Landwirtschaft und Ernährungsherstellung entgegenzuwirken. Wenn man weiter über den Tellerrand hinausschaut und das Problem der Überbevölkerung nicht nur zu einem der Ernährung macht, dann wird einem jedoch schnell bewusst, dass, wie auch Hardin glaubte, eine technische Lösung des Problems des unbegrenzten Bevölkerungswachstums nicht möglich ist, sondern eine «fundamentale Erweiterung der Moral» notwendig ist. (1968, S. 1243)

           

Die Idee der "technischen Lösung" entnimmt Hardin der professionellen Konklusion von Wiesner und York. In ihrem wissenschaftlichen Artikel, der sich auf den Nuklearkrieg bezieht, appellieren sie mutig, dass keine technische Lösung gefunden werden kann, sondern anderswo nach einer Lösung gesucht werden muss. (4) So behauptet auch Hardin, dass der meistverbreitete Irrtum unter professionellen Journalen dieser sei, dass jedes Problem eine technische Lösung hat oder haben muss. Gemäss Hardin ist eine technische Lösung dadurch definiert, dass nur eine Veränderung in den Techniken der Naturwissenschaften gebraucht wird, (fast) ohne jegliches Verändern der menschlichen Werte oder Moralvorstellungen. Für die Lösung der Bevölkerungsfrage braucht es demnach eine kulturelle Verschiebung, nicht nur eine technische Erfindung. (1968, S. 1243/2)

 

Als weitere Folge des Egozentrismus und somit als Ursache der Allmendeproblematik kann die Umweltverschmutzung genannt werden. Hier verhält es sich jedoch anders, wie bei der Ausschöpfung der Ressourcen, da es nicht um eine problematische Aufnahme, sondern um einen problematischen Ausstoss in die Umwelt geht, wie zum Beispiel von Abwasser, Chemikalien oder Wärme. Auch hier entscheidet der rationale Mensch gemäss der inhärenten Logik der Allmende. Bislang haben unsere Regierungen darauf beharrt, dass der Mensch seinem Gewissen folgt. Das Problem damit, die Lösung der Umweltproblematik an das Gewissen des Menschen zu binden, ist jedoch einerseits, dass es kein allgemeingültiges Gewissen gibt und andererseits, dass es eine der Grundängste des Menschen ist, zu kurz zu kommen.  

 

Als Gesellschaft vertrauen wir noch immer darauf, dass der Mensch weiss, was gut ist, also dass die Moral und das Gewissen den Menschen zum guten Entscheid leiten. In den frühen Gesellschaften wurde dieses Gewissen von Traditionen und Glaubenssätzen geleitet und der Umgang mit der Umwelt dementsprechend angepasst. In unserer zunehmend individualistischen Gesellschaft, in der jede Person für ihr eigenes Glück und Leben verantwortlich ist, sind wir jedoch mit einer Normverschiebung durch den Verlust von Traditionen und Religionen konfrontiert, (5) womit es schwierig wird, wenn nicht unmöglich, einen mutuellen Gewissensmassstab zu generieren.  Man könnte also sagen, dass mit dem zunehmenden Individualismus die kollektive Moral ins Wanken kommt und deshalb neue Leitplanken gelegt werden müssen, welche bestimmen, was der Mensch darf oder eben nicht darf, um die Tragödie zu vermeiden.

 

Um die Umweltverschmutzung und die Überbevölkerung, welche dem Ruin des natürlichen Allgemeingutes drohen, zu stoppen, müssen wir also das Kollektiv, welches aus egozentrischen und individualistischen Personen besteht, dazu bringen, im Interesse des Allgemeinwohls und der Umwelt zu handeln. Hardin zeigt drei Möglichkeiten auf, diesen gemeinsamen Nenner zu finden und somit der Tragödie der Allmende in unserer Zeit entgegenzuwirken.

 

Als eine erste Methode, der Tragödie der Allmende entgegenzuwirken, nennt Hardin den Rechtszwang. Dieser kann unter anderem als ein Ersatz für das kollektive Gewissen gesehen werden. Anhand des Problems des unbegrenzten Bevölkerungswachstum kann diese Art der Sicherung des Kollektivgutes gut aufgezeigt werden. Wir müssen annehmen, dass wir in einer endlichen Welt leben. Demnach kann in einer endlichen Welt nur eine endliche Bevölkerung existieren. Hardin plädiert also genau dafür, dass das Bevölkerungswachstum nicht unkontrolliert stattfinden darf und erwähnt, dass es an einem gewissen Punkt im Schnitt null erreichen muss. Ein solcher Versuch des Rechtzwangs, um das Bevölkerungswachstum zu regulieren, wurde 1979 in Asien gestartet. China implementiert damals das umfangreichste und strikteste Bevölkerungswachstumsgesetz der modernen Geschichte. (6) Die Landesregierung wollte damit der besagten Übervölkerung entgegenwirken aus Angst, dass die Ressourcen zu knapp sein könnten für eine rasant wachsende Gesellschaft. Ein von oben implementiertes, volksweites Gewissen - in Form eines Gesetzes - sollte also die soziale und wirtschaftliche Stabilität sichern und somit eine bessere Zukunft für China. Die Folgen der Ein-Kind-Politik, wie die Überalterung von einem gesamten Land, lassen aber dennoch Hardins Überzeugung, dass man solch ein Bevölkerungskontrollgesetz länderweise einführen sollte, anzweifeln. (7)

 

Die zweite Methode, die sich angeboten hat, ist die Privatisierung von Kollektivgütern. In dem man die Zuständigkeit klar definiert, glaubt Hardin, wird die Sorgfalt im Umgang damit zunehmen.  Auch Aristoteles war ähnlicher Meinung. In dem zweiten Volumen seines Buches "Politika" schrieb er: "Denn das, was der grössten Zahl gemeinsam ist, wird am wenigsten beachtet. Jeder denkt vor allem an sein eigenes, kaum an das Gemeinwohl, und nur dann, wenn er selbst als Einzelner betroffen ist." (8) Ein simples Beispiel hierfür, welches die Privatisierung befürworten würde, ist der Vergleich des Eigenheims mit einem Hotelzimmer. Zuhause wird meist darauf geachtet, dass bei Abwesenheit die Heizung und das Licht ausgestellt sind oder darauf, dass man nur eine kurze Dusche nimmt. Seinen eigenen Ressourcen, die hier mit finanziellen Mitteln abgeglichen werden, möchte man wenig abverdienen, somit schont man diese. Wenn man jedoch im Hotel zu Gast ist, einem die Nutzung zumindest im Sinne von zusätzlichen Kosten nicht beeinflusst, scheut man sich kaum davor, mehr als drei Minuten zu duschen oder jeden Tag ein frisch gewaschenes Badetuch zu verlangen.

 

Die dritte Methode, die Hardin aufzeigt, ist die Lösung des Problems durch ein aufgeklärtes Eigeninteresse. Gerade diese Methode hat in den letzten Jahren an Popularität gewonnen. Das aufgeklärte Eigeninteresse geht gut einher mit dem Bedürfnis des modernen Menschen nach Freiheit und Individualismus und spielt stark mit dem persönlichen Gewissen zusammen. Jedoch ist dieser Lösungsansatz der wohl schwierigste zum Umsetzen, da er davon ausgeht, dass der Mensch von Natur aus kritisch, intelligent und selbstlos ist. Dies ist nach Beobachten unserer Gesellschaftsdynamiken durchaus schwierig zu behaupten.  Da hier immer noch ein Konflikt mit der im Menschen verankerten Angst des Zu-kurz-Kommens und dem Egozentrismus seines Wesens besteht, ist dieser Lösungsansatz nur bedingt nützlich. Durch das aufgeklärte Selbst wird zwar das Gewissen wiederhergestellt, jedoch kann es in dem oben genannten Konflikt zu einer reinen Symptombekämpfung kommen, statt das Problem am Ansatz zu lösen. Beispiele hierfür sind Klimazertifikate bei Flügen, Baumpflanzaktionen für den Kauf von Produkten oder allgemein das Grünwaschen von Unternehmen. Das aufgeklärte Eigeninteresse kann nur dann nachhaltig zur Lösung beisteuern, wenn es zumindest mit einer Begrenzung des Konsums einhergeht. Dies wiederum setzt jedoch oftmals erneut das Vertrauen, dass die anderen Mitmenschen in demselben Interesse handeln, voraus. Folglich ist es praktisch undenkbar, dass diese Methode allein die Auflösung der Tragödie bietet.

 

Eine vierte Methode, die Hardin in seinem Text nur sehr bedingt anspricht, ist die Hinterfragung der Prämisse des Menschen, das Recht zu haben, die natürliche Welt als seinen Untertan, als sein Gut zu sehen. Hardin argumentiert, dass die Tragödie der Allmende nur durch eine Änderung der Art und Weise, wie Menschen über gemeinsame Ressourcen denken und demnach diese nutzen, gelöst werden kann. So zeigt er zwar anhand des Nationalparks flüchtig auf, dass eine Abhängigkeit zwischen menschlichem Recht und dem Wohlbefinden der Natur besteht und weitgehend notwendig ist, um die natürliche Umwelt und somit die Ressourcen zu schützen. Jedoch bleibt bei Hardin das Recht, auch wenn in Form von Verboten, stets auf der Seite des Menschen. Anstatt also ein Verbot für den Menschen zu entwickeln, könnte man auch ein Recht für die Natur aufstellen. Diese Hinterfragung des Anspruchs der Natur auf Recht bringt das gesamte Konzept der modernen Gesellschaft ins Wanken, denn alles, das wir bis anhin erreicht haben, ist dem zu verdanken, dass wir die Umwelt zu unserem Spender gemacht haben. Doch was, wenn der Mensch nicht über, sondern neben der Natur steht und lebt? Was, wenn wir zurück zu den archaischen und indigenen Konzepten des Einklangs des Menschen mit der Natur finden könnten?

 

Eine solche Verständnisverschiebung kann und wird zunehmend – vor allem in der Kilmadebatte – thematisiert und verfolgt. Auch hier kann man von einer Lösung sprechen, die nicht technisch sein kann, sondern in der Veränderung des Verhaltens und der Mentalität der Menschen stattfinden muss. Ein grosser Treiber dieser Umkehrung ist wieder einmal das Recht. Dieses Mal geht es aber nicht um das Recht der Menschen, sondern um das Recht der Natur. Das Konzept der Schutzgebiete für Wildtiere geht auf das späte 19. Jahrhundert zurück, als 1872 in den Vereinigten Staaten der erste Nationalpark, Yellowstone, eingerichtet wurde. (9) Seitdem hat sich die Idee von Schutzgebieten für Wildtiere weltweit verbreitet. Heute gibt es Tausende von Wildreservaten und Schutzgebieten in verschiedenen Ländern. Der Grund für die Einrichtung von Wildreservaten und Schutzgebieten war zunächst die Sorge um den Rückgang der Wildtierpopulationen und den Verlust von Lebensräumen sowie die Notwendigkeit, die biologische Vielfalt zu erhalten und gefährdete Arten zu schützen. In den letzten Jahrzehnten hat sich die Rolle der Schutzgebiete nicht nur auf die Erhaltung, sondern auch auf die nachhaltige Nutzung, den Tourismus und andere Aktivitäten ausgeweitet, die zum Wohlergehen der lokalen Gemeinschaften und der Wirtschaft beitragen. Auf diese zunehmende Übernutzung der Nationalparke, nicht im Interesse der Tiere und der Natur, sondern im Interesse des Menschen, geht auch Hardin ein. Er appelliert zum Schutz der Naturparks entweder durch das Privatisieren oder durch das Einschränken des Zugangs, also des Rechtes der Menschen. (1968, 1945/1-2) Diese Art von Reaktion auf die Übernutzung der natürlichen Ressource hindert die von ihm gewünschte Veränderung der Denkweise zum Kollektivgut jedoch mehr, als es diese fördern würde.

 

Anstelle der Eindämmung der Rechte des Menschen sollte folglich eine Ausweitung der Rechte des Kollektivgutes treten. Einer der ersten Versuche eines solchen neuen Rechtkonzeptes wurde 2008 in Ecuador gestartet. Der Fluss Vilcabamba wurde, angelehnt an das indigene Gedankengut, als Rechtssubjekt anerkannt. (10) Auch Neuseeland wagte 2017 den Schritt, nach langem Kampf den Fluss Whanganui als juristische Person anzuerkennen. (11) Somit hat der Fluss nun selbst Rechte. Durch das Zugestehen von Rechten für die Natur, können Umweltverbände oder Organisationen vor Gericht ziehen und diese Rechte einklagen. Das eröffnet neue Strategien, um der Umweltzerstörung einen Halt zu machen und somit das Allgemeingut zu schützen. Dieses Konzept, welchem die Hinterfragung der Prämisse des Rechtes des Menschen, die Umwelt als ihre Allmende zu sehen, zu Grunde liegt, wird von Hardin nicht diskutiert. Der ausführlichen Diskussion dieses Konzeptes sollte in einem weiteren Essay genauer nachgegangen werden, da diese den Rahmen dieses Essays sprengen würde. Dennoch kann man annehmen, dass eine solche Verschiebung von menschlichem Unrecht (Verbot) zu natürlichem Recht (Erlaubnis) der notwendige Schritt sein könnte, die Tragödie der Allmende zu verhindern, da somit die Harmonie zwischen Menschen und Umwelt hergestellt werden kann.

 

Abschliessend kann man sagen, dass wir Menschen heutzutage mehrheitlich deutlich erkannt haben, dass die Welt endlich ist. Hardin, sowie auch viele andere namhafte Personen wie Elianor Ostrom, Claus Offe und Jane Jacobs, hat unumstritten diesen Weg des Bewusstwerdens gebahnt. Dennoch scheinen wir am selben Punkt zu stehen, wie vor 50 Jahren: Wir wissen, dass die Welt begrenzt ist, wir wissen, was zu tun ist, um die Tragödie zu verhindern und dennoch können wir unser Ich (noch) nicht unterordnen. Die Tragödie ist schliesslich die Erkenntnis, dass es in der Natur des Menschen liegt, egozentrisch zu sein und er somit selbst den Helden in der Tragödie der Allmende spielt.

 

Referenzen

1) W.F. Lloyd, Two Lectures on the Checks to Population (Oxford University Press, Oxford, England, 1833), nachgedruckt (teilweise) in Population, Evolution, and Birth Control, G. Hardin, Ed. (Freeman, San Fracisco, 1964), S. 37

2) G. Hardin, The Tragedy of the Commons (Science, AAAS, Vol. 162, 1968) S. 1243 - 1248

3) A. Smith, The Wealth of Nations (Modern Library, New York, 1937) S. 423

4) J.B. Wiesner and H.F. York, Science America (No. 4, 1964)

5) Dieses Gedankenexperiment ist angelehnt an die Überlegungen von Alain Ehrenberg in seinem Buch "Das erschöpfte Selbst" (1998)

6) W. Korby, Infoblatt: Chinas Ein-Kind-Politik (TERRASSE online, Ernst Klett Verlag, 2021)

7) G. Hardin, Interview zu Overpopulation, Carrying Capacity, and Quality of Life mit Nancy Pearlman im Programm 802 "Conversations on Population" (Educational Communications, Los Angeles, 1990)

8) Aristoteles, Politics (350 B.C.E, Buch II), übersetzt von B. Jowett

9) Verband Deutscher Naturparke, Geschichte der Nationalparks (Nationale Naturlandschaften; online, 03.02.23, 14:30)

10) Ulrike Prinz, Wenn die Natur eigene Rechte bekommt (Neue Zürcher Zeitung, Oktober 2019)

11) Quell Verlag GmbH, Flüsse mit Rechten (quellonline.de, Mai 2018)


 Dieser Essay wurde von Nadine zur Vorlesungsreihe “Grundprobleme der Wirtschaftsethik” im Bereich Philosophie bei Professor L. Wingert verfasst. Der Essay wurde mit dem Kommentar “hervorragend” ausgezeichnet und der Note 6 bewertet.

 
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